Handreichung zum Medienelternabend
Die Aufgabe der Erwachsenen ist es nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu ermöglichen, seinen eigenen Weg zu finden (frei nach Maria Montessori). Fernseher, Gameboy, Tamagotchi, Atari 64 ,… erinnern Sie sich noch, welche enorme Faszination diese modernen Medien auf uns hatten? Und vielen von uns ging es ähnlich wie der Generation heute mit Smartphone, Spielkosole, Social Media. Wann immer wir konnten, nutzen wir diese Medien. Zu lange? Sicherlich! Zu spät am Abend? Auf jeden Fall! Zum Unmut und Unverständnis unserer Eltern? Was sonst! Und doch sind wir alle verantwortungsbewusste Erwachsene geworden. Erwachsene, die ihr Leben organisiert bekommen. Ja, die sich sogar dazu entschieden haben, selbst Eltern zu werden. Und eigentlich war uns doch von Anfang klar: Wir werden die digitale Welt unserer Kinder nie verstehen. Ok, Katzenvideos auf Facebook – da gehen wir noch mit. Die sind lustig… Aber Let´s Plays auf YouTube, Spiele auf Steam und Roblox, Influencer auf Instagram und Tänze aus Kinderzimmern auf TikTok – also da hört es doch nun wirklich auf. Wir müssen unsere Kinder doch vor dieser bösen Welt in der sie leben beschützen! Dieses Internet birgt doch so viele Gefahren! Und außerdem sollen die Kinder doch miteinander reden, also wenn sie sich gegenüberstehen. Und lieber raus an die frische Luft gehen und sich bewegen! Sie ahnen es schon: so einfach ist die Sache der Medienerziehung nicht. So richtig wie das soeben Gelesene ist. So falsch ist es auch. Zumindest, wenn man die Mediennutzung nur einseitig sieht und wenn man glaubt, der beste Schutz besteht darin, Kindern den Zugang zu verweigern oder sehr stark reglementiert zu gewähren. Kinder brauchen Freiheit! Kinder müssen Grenzen überschreiten! Würden wir die Kinder nur in der Wohnung und im Hof spielen lassen und ihnen beim Verlassen, z.B. zum Einkaufen, die Augen verbinden und sie die ganze Zeit an der Hand halten, dann würden wir unsere Kind vor sexualisierter Werbung, Gewaltdarstellungen in der Presse und Konsumüberfluss im Supermarkt schützen. Aber was wäre, wenn das Kind mit 8 Jahren das Loch im Zaun nutzt um die Welt außerhalb des eigenen Hofes zu erkunden? Es wäre völlig überfordert, würde im Supermarkt alles kaufen, was bunt und ansprechend ist und wahrscheinlich von einem Auto angefahren werden. Also machen wir was? Genau: wir begleiten unsere Kinder 8 Jahre lang. Wir erklären, Wir sind Vorbild. Wir lernen unser Kind kennen und wissen, wie es sich außerhalb des sicheren Hofes verhält. Und dann treffen wir die Entscheidung, dass das Kind alleine zum Bäcker gehen darf. Und das Kind kommt stolz und sicher wieder nach Hause. Und genau so sollten wir es auch in der Medienerziehung machen. Da wir ohnehin nicht wissen wie die mediale Zukunft unserer Kinder aussieht, können wir ihnen nicht beibringen, mit einer bestimmten Technologie sicher umzugehen.
ACHT Regeln für eine ACHTsame Medienerziehung
1. Achtsame Eltern begleiten ihr Kind
Ganz gleich, ob Eltern engere oder weitere Grenzen in der Erziehung setzen: Kinder kennen ihre Eltern und können damit umgehen. Es gibt KEIN richtiges oder falsches Maß, solange Eltern sich dem was sie tun bewusst sind. Nur eine absolute Verweigerung der Eltern oder eine komplette Selbstüberlassung dem Kind gegenüber, sind nicht zu empfehlen. Um Kindern den richtigen Umgang zu zeigen und ihnen die Wichtigkeit eines sinnvollen und maßvollen Umgangs näher zu bringen, müssen Sie Ihr Kind aktiv begleiten – ganz gleich wie intensiv das Maß der Nutzung ist: Gemeinsam das Smartphone/ Tablet einrichten; Apps für den Anfang gemeinsam heraussuchen, installieren und ausprobieren; sich immer wieder dazusetzen, wenn Ihr Kind spielt; mitspielen und über die Inhalte der Spiele, die Möglichkeiten von InAppKäufen reden; Gutes und Schlechtes thematisieren. Wird die Nutzung eigenständiger, fragen Sie immer wieder nach was Ihr Kind macht, welche Apps es besonders liebt, was daran das Besondere ist. In der Kommunikation über Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram, stehen Sie vor der Herausforderung, einerseits die Persönlichkeitsrechte des Kindes zu achten und andererseits die Verantwortung für Ihr Kind wahrzunehmen. Statt jede Nachricht lesen zu wollen, fragen Sie Ihr Kind doch mal danach, ob es schon mal Nachrichten von Fremden bekommen hat und wie es damit umgegangen ist bzw. umgehen würde; oder ob es schon Beleidigungen gab; wie es mit Kettenbriefen umgeht und ob es in den Gruppen zufrieden mit der Art der Nachrichten ist. Zeigen Sie Interesse. Hinterfragen Sie die Gefühlswelt Ihres Kindes. Sehen Sie die Dinge, die falsch laufen als Chance, mit dem Kind über einen richtigen Weg zu sprechen.
2. Achtsame Eltern setzen die Grenzen
Begleiten heißt auch Führen. Deshalb entscheiden Eltern über die Tage, an denen Ferngesehen, Konsole oder Tablet gespielt werden kann. Auch über das Zeitlimit an den Tagen entscheiden Eltern. Sie stellen klare Regeln auf, auf die sich das Kind verlassen kann. Natürlich wird ihr Kind gelegentlich mehr Zeit wollen. Je zuverlässiger Sie am Anfang die Einhaltung der ausgemachten Zeiten einfordern, um so leichter ist es für Ihr Kind, sich darauf einzulassen und diese Regeln anzunehmen. Aber es gibt Ausnahmen: Niemand schaltet zwei Minuten vor Ende einer TV-Serie ab, weil die halbe Stunde vorbei ist. Für Kinder ist es oft auch wichtig, die anschließende Vorschau auf den nächsten Tag oder den Abschlusstrailer von KIKA oder toggoTV zu sehen. Damit beendet das Kind seine Medienzeit auch innerlich. Und wenn Ihr Kind bei der Pferdepflege, beim Flugzeugwaschen, bei Minecraft oder Fortnite kurz vor der Fertigstellung bzw. dem „Epischen Sieg“ steht, bleiben Sie entspannt. Ihr Kind wird keinen Schaden davontragen, wenn es 3 Minuten länger am Tablet beschäftigt ist. Hat sich Ihr Kind an die Zeiten gewöhnt und hält diese ein, dann nutzen Sie Situationen, in denen das Kind noch etwas mehr Zeit benötigt doch einfach dazu, um sich zu Ihrem Kind zu setzen, um zu erleben, was das Spiel so reizvoll für Ihr Kind macht. Anstatt zu schimpfen, dass es wieder länger als vereinbart am Tablet war, teilen Sie Ihrem Kind lieber mit, wie toll Sie es finden, was es schon alles kann und bieten an, die Zeit zu lockern und z.B. die ausgemachten 30 Minuten an das Geschehen im Spiel anzupassen. Diesen Weg müssen sie dann gemeinsam gehen. Es bedarf dann wieder einer stärkeren Absprache und einer guten Begleitung durch Sie.
3. Achtsame Eltern haben Interesse
Die Medienwelt der Kinder ist für diese genauso komplex wie unsere Medienwelt für uns. Genauso wie uns, die Vieles kaum verstehen, geht es den Kindern auch. Der Unterschied ist, dass wir Strategien erlebt haben, zum Beispiel Wichtiges von Unwichtigem, Richtiges von Falschem und Sinnvolles von Schädlichem zu unterscheiden. Nur wenn Eltern sich für die Medienwelt der Kinder interessieren, erfahren sie, was das Kind erlebt hat und was es gedanklich beschäftigt. Der Grad zwischen Interesse zeigen und kontrollieren ist manchmal sehr klein. Wenn Kinder jedoch gelernt haben, dass ihre Medienerlebnisse mit Interesse aufgenommen werden, dass empathisch und feinfühlig hinterfragt wird, entsteht die Chance, dass sie auch bei kritischen Medienerfahrungen den Rat der Eltern suchen.
4. Achtsame Eltern informieren sich
Woher haben Kinder dieses enorme Wissen über Minecraft, FIFA, Fortnite,…? Sie schauen auf YouTube sogenannte Let´sPlayVideos. Andere Spieler filmen sich und ihren Monitor und erklären was sie tun. Wenn Kinder so alles über ihre Spiele lernen, dann können wir Eltern das auch. Nutzen Sie das! Tatsächlich gibt es auch genug Videos, die die Vor- und Nachteile, Dinge die es als Eltern zu beachten gibt oder Einstellungsmöglichkeiten zum besseren Schutz der Kinder erklären. Geben Sie bei YouTube den Namen des Spieles und z.B. „ab welchen Alter“ oder „Sicherheitseinstellungen“ ein. Wenn Ihr Kind beim Abendessen von etwas erzählt, das es im Kindergarten oder in der Schule gehört hat und Ihnen kommt das komisch vor: suchen Sie z.B. auf google danach.
5. Achtsame Eltern lassen Freiräume
Ausprobieren, Richtig und Falsch entdecken: Dazu muss man Fehler machen dürfen. Dies geht aber nicht, wenn Eltern vorher schon wissen, was richtig und falsch ist. Früher war es der Videorekorder, heute sind es die Sicherheitseinstellungen bei WhatsApp, die Kinder viel besser beherrschen als Erwachsene. Und warum? Weil sie unbedarft ausprobieren. Das heißt aber nicht Regelfreiheit oder Grenzenlosigkeit. Eltern müssen Freiräume, die den Kindern gewährt werden können, erkennen und zulassen. Grundlage dabei ist immer der Entwicklungsstand und die Medienkompetenz des Kindes. Den AppStore nach neuen Spielen durchsuchen – für Neunjährige möglich. Wenn sie wissen, dass sie vor dem Download mit den Eltern absprechen, ob es ok ist. Dreizehnjährige brauchen den Freiraum, auch Apps ohne Rücksprache zu laden. Aber nur, wenn Eltern davon ausgehen können, dass das Kind sich Gedanken macht und Wissen über Apps besitzt.
6. Achtsame Eltern verschenken Medien nicht
Medien gehören zum Alltag dazu. Sie zu schenken und dann zu reglementieren, führt zu Frust. Da Medienbildung aber auf Achtsamkeit beruht, ist es nicht zielführend, wenn über die Medien Frust und Ärgernisse aufgebaut werden. Achtsame Eltern stellen Medien je nach Alter des Kindes zur Verfügung. Ein Smartphone kann durchaus zum 9. Geburtstag gekauft werden bzw. übergeben werden. Der Grund dafür ist aber das erreichte Alter und nicht weil es am Geburtstag Geschenke gibt. Ob Chanukka, Bayram oder Weihnachten – Medien an Feiertagen in das Familienleben einzuführen, ist eine tolle Möglichkeit, um den Wert darzustellen.
7. Achtsame Eltern nutzen Medien NICHT zur Belohnung oder Bestrafung
In einem partnerschaftlichen, verlässlichen und konsequenten Erziehungsumfeld kann es vorkommen, dass das Kind am Abend seine Fernsehserie nicht schauen darf oder dass die Smartphonezeit für einen Tag nicht zur Verfügung steht. Der Grund sollte aber nicht die Durchsetzung von Machtunterschieden zwischen Kind und Eltern sein. Der Grund sollte sich an der Sache, um die es Unstimmigkeiten gibt, orientieren: Hausaufgaben schlampig gemacht – Smartphonezeit gekürzt damit Zeit zum Nacharbeiten da ist; Zähne mal wieder nicht geputzt und nur die Zahnbürste nass gemacht – keine Serie schauen um die Zähne ganz ordentlich zu putzen und ein Buch, am besten mit Mama oder Papa zusammen, zum Thema Zahnhygiene anschauen. Ebenso verhält es sich bei Belohnungen: Im Garten mitgeholfen – mehr Medienzeit, weil Mama und Papa und auch mehr freie Zeit haben. Meistens kommt es nur auf die Art der Formulierung an. Und plötzlich streitet man sich nicht mehr um Mediennutzung.
8. Achtsame Eltern sind Vorbild
Schwierig, wenn man jede Nachricht sofort anschaut und beantwortet, aber von seinem Kind verlangt, das Smartphone bei den Hausaufgaben nicht zu beachten. Vorbild sein heißt vor allem, achtsam mit sich selbst zu sein. Alles was Sie von Ihrem Kind erwarten, müssen Sie selber umsetzen. Wo dies nicht geht, muss Ihr Kind einen nachvollziehbaren Grund erkennen und erklärt bekommen. Nicht alles wird Ihr Kind so umsetzen, wie Sie es vorleben. Aber es bleibt etwas in Ihrem Kind hängen, dass sich vielleicht erst Jahre später zu einer Verhaltensweise ausformt, die Ihren Vorstellungen entspricht.
Achtsame Medienerziehung schafft eine Balance zwischen Regeln und Freiraum, Zutrauen und Fehlern, Offenheit und Grenzen. Achtsame Medienerziehung ist vor allem achtsame Erziehung.